Liebe Gäste, aber besonders

liebe Eike, lieber Gernot,

wir feiern heute das Richtfest des Hauses, dessen Bauherr und Baufrau (oder heißt es "Bauherrin" – das klingt so arg nach Emanzipation oder anderen Ambitionen wie z.B. in Zeitungsanzeigen und die passen nicht zu Eike). Ich will Euch deshalb ganz neutral "Bau-Menschen" nennen. Wie im Internet nachzulesen, war dieser Bau ja auch Euer ganzer Lebensinhalt der letzten Zeit. Und er wird es noch einige Zeit bleiben.

Ihr Baumenschen habt mir als einem der Väter die schwere Aufgabe übertragen, einige Segensworte zu sagen. Das tue ich gern und fühle mich auch ohne förmlichen Auftrag etwas in Vertretung von Eikes Vater, der leider nicht anwesend sein kann.

Früher war das Segnen des Hausees durch den Richtspruch die Aufgabe des Poliers der Zimmerleute. Aber dieser will das heutzutage nicht mehr tun, denn bei der jetzigen Baugeschwindigkeit hätte er ja fast täglich Richtfest und das würde dann zur Arbeit ausarten und nur die Lohnkosten steigern. Anders bei den Baumenschen: für die ist es ein einschneidendes und lebensbestimmendes Element, das es zu feiern gilt!

Früher werkelte eine ganze Mannschaft im Schweiße ihres Angesichts ein ganzes Jahr auf ein Haus. Das schaffte Nähe, Gemeinsamkeit, Kollegialität – und da konnte man am Ende auch mal richtig feiern. Aber heute – ruck-zuck, Kran her und die Bude steht – zumindest im Rohbau. Die paar fehlenden Kleinigkeiten verlangen dann später doch noch den Schweiß des Angesichts; Ihr werdet es noch merken.

Ja früher, da war vieles anders. Da machte man z.B. erst den Plan und baute danach. Da gab es auch noch keine Baumärkte, die Spielzeugläden des modernen Mannes.

Ich habe lange gesucht, die Worte zu finden, die richtig sein könnten. Viele der anwesenden Gäste kenne ich nicht und selbst die ich kenne, sind so unterschiedlich, daß es fast schon anmaßend ist, auf Allgemeinverständnis zu hoffen.

Ich meine, es ist wichtig, daß auf einem Haus – wie eigentlich auf allem – ein Segen ruht. Der kommt nicht von allein, der muß erteilt werden. Schlägt man in der Konkordanz der Bibel nach, so findet man viele Seiten, die sich mit Segen, segnen und segnen lassen befassen. Und dieser Segen wird oft über die Väter erteilt. Das hat mit Gott zu tun und der Glaube an ihn ist nicht jedermanns Sache – war früher auch nicht mein Ding und deshalb habe ich Verständnis dafür. Aber man kann für den Begriff "Gott" auch viele andere Worte einsetzen, die dann doch auf dasselbe hinauslaufen wie z.B. "Schöpfer". Aber auch ganz andere Begriffe passen dahin wie z.B. "Urknall". Was ist der nicht anderes als eine Schöpfung? Evolution steht nicht im Widerspruch zur Schöpfung, sie ist nur deren Methode.

Selbst die Relativitätstheorie paßt hierher. Nach Einsteins indessen bewiesener Theorie bleibt bei Masselosigkeit und Lichtgeschwindigkeit die Zeit stehen. Das sind unvorstellbare und unerreichbare Extreme. Aber diese Theorie wird durch die allgemeine Lebenserfahrung bestätigt. Wer weniger ißt und sich mehr bewegt, wird zumindest mit höherer Wahrscheinlichkeit auch älter. Ihr habt in diesem Bau mehr Kalorien verbrannt und Euch mehr bewegt als sonst und sollt deshalb mit diesem Haus bei guter Gesundheit alt werden.

Aber ich will mein Reden beenden, mich dem heutigen Anlaß zuwenden und rufen:

"Dies Haus soll gesegnet sein! – Gott segne dieses Haus und alle, die da gehen ein und aus!"

Johannes Thiele